Wie modelliert man LuPo

Hilmar Boehle: Wie modelliert man LuPo, 1996

 

Hilmar Boehle: Wie modelliert man LuPo, 1996

 

Hilmar Boehle: Wie modelliert man LuPo, 1997 (Installation Museum Sprengel Hannover 1997, Eingangsbereich)

 

Hilmar Boehle: Wie modelliert man LuPo, 1996

 

 

Hilmar Boehle: Wie modelliert man LuPo, 1996

Luftpolsterfolie (Aufbau und Größe variabel)
Luftblase eingespannt in Bildrahmen,
nummeriert von 0000001 – 5972381 und in Gruppen zusammengestellt.
Hartfaser, Bleistift, Nummernstempel
Größe der Einzeltafel 20 x 30 cm

ausgestellt in:
Hilmar Boehle: Von Aachen bis Zürich, Sprengel Museum Hannover 1997
Interventionen 9

 

 


 

Wie modelliert man Lupo

Am Anfang war das Ei. Die Zelle, das runde räumliche Gebilde scheint uns heute nach allen Informationen, die uns aus der Mikrobiologie und der Geschichte der Entwicklung des Lebens auf der Erde zur Verfügung stehen, eine der ersten Formen zu sein, in denen sich Leben präsentiert hat. Beim Blick durch das Schülermikroskop entdecken wir Welten, die aus solchen Einzellern bestehen. In phantastischen, nicht immer festen, oft gar fließenden Formen existieren hier Myriaden von Lebewesen, die wie der Phantasie der Surrealisten oder eines Hieronymus Bosch entsprungen scheinen. Am Anfang war das Ei: Eine Einheit wie die Zelle; das eine, in sich geschlossene und sich selbst genügende Wesen, das seine Grenzen in sich trägt, sich ausbreitet bis zum eigenen Rand und sich in sich selbst wiederfindet.



Die Luftpolsterfolie, auch LuPo genannt, ist heute ein in der Kunstszene geläufiges Material. Sie macht die Kunstwerke leichtfüßig reisefähig, umhüllt und schützt sie, so wie dies in der Vergangenheit Kisten und Kästen getan haben. Sie ist längst ein omnipräsentes Material für die Kunstfreunde und ihre Familen geworden. Kinder lieben es, die einzelnen Eierbläschen der Luftpolsterfolie mit schönem Knall zerplatzen zu lassen; ein eigenartig gequetschter Ton entsteht dabei, und auf den Gesichtern spiegeln sich die erotischen Sensationen, die zwischen Zeigefinger und Daumen beim allmählichen Zerdrücken der Luftbläschen entstehen; das ungewisse zur Seite rutschen der unter Druck komprimierten Luftmenge in der Blase, der sich schließlich auflöst in dem befreienden Zerknallen der Bläschen. Die einfache Nutzung und die Zerstörung, ohne jede reflexive Ebene, ist das Schicksal diese Materials. Es wird in Bahnen hergestellt und geliefert, zu Rollen aufgewickelt, von denen man Stück um Stück die notwendige Menge an Metern abrollt und abschneidet, um damit Kunstwerke zu umhüllen. Längst ist die Luftpolsterfolie auch ein kostbares Material geworden; relativ teuer in der Anschaffung und wiederverwendbar, wenn man sie sorgfältig von den Objeken löst, die sie schützt. Was ist dieses Material aber eigentlich, ist es nicht längst etwas geworden, das auch kunstwichtig ist, das in der Kunst auch Gegenstand eigener Betrachtung wer ist?



Boehle geht von der Elementarform der Luftpolsterfolie aus. Zum einen hängt da, in großen Bögen und als großes Bild, die größtmöglicher Erstreckung einer solchen Folie auf der Wand des Museums. Hängt lakonisch da, allerdings nicht in schützender Form, sondern hier als Bildfläche, als Kunstwerk. Diese Luftpolsterfolie ist nicht modelliert, aber sie erstreckt sich und schafft so ein eigenes Kontinuum; Luftblase reiht sich an Luftblase, in Reihungen versetzt fügt sich die Vielzahl dieser Elemente in eine besondere Situation. Der Künstler als Sezierender, als Separierender fügt die einelnen Bläschen in das Zentrum der Bildfolge: gibt jedem von ihnen eine Einzelexistenz im Bild, isoliert die Menge und Masse der Blasen ins Einzelne. Wie ein prallgefülltes Fischei unter dem Mikroskop starrt uns die Nummer 5972381 an, ein leeres Auge, eine volle Form, Fruchtbarkeit symbolisierend und Volumen, glasklarer Körper und ei-genartiges Gebilde. Die große Folie, zerlegt in Tausende von kleinen Bläschen, es ist dies ein Prozeß, den man in beiden Richtungen lesen kann: als Zerlegung und Zusammenfügung des Ganzen und Gesamten. Boehle spielt mit dem Material, er seziert es, um uns die Merkwürdigkeit unseres Umgangs mit Kunst sichtbar zu machen. Aber auch, um eine ferne Poesie in einem der profanen Gegenstände, mit denen wir umgehen, spürbar werden zu lassen.

 

Ulrich Kempel
Katalog "von Aachen bis Zürich"
Sprengel Museum Hannover
Interventionen 9
14.05.–17.08.1997